2025 Netzwerkworkshop zur Didaktik des Ethikunterrichts für MINT-Fächer

Welche Basiskompetenzen sollen in der Ethik in MINT-Fächern vermittelt werden?

Fr., 4.7.2025, 9–13 Uhr

Organisation und Leitung:
Prof. Dr. Stefania Centrone und Dr. Christoph Durt

If you are interested in participating, please email Christoph Durt.

Programm

ZeitInhalt
09:00–09:15Übersicht über den Tagesablauf und Vorstellung der Vortragenden
09:15–09:50Impulsvortrag Jörg Wernecke: Ethik und Verantwortung: Überfachliche Lehrangebote an der TUM für MINT-Fächer
Diskussion.
09:50–10:25Impulsvortrag Markus Bohlmann: Ethische Basiskompetenzen und 
Empirie.
 Rückschlüsse aus den Forschungsprogrammen STS, SSI und NOS in den Naturwissenschaftsdidaktiken
Diskussion.
Pause
10:35–11:10Impulsvortrag Sabine Ammon und Juliane Rettschlag: Reflexion und 
Verantwortung–das Berliner Ethik-Zertifikat
Diskussion.
11:10–12:00Einführung Alexander Bagattini und Christoph Durt: Zur Vermittlung des sinnvollen Umgangs mit Generativer KI
Breakout-DiskussionenGemeinsame Diskussion
12:00–12:30Ergebnissicherung
12:30–13:00Weitere Planung

Impulspräsentationen

Jörg Wernecke
Ethik und Verantwortung: (Überfachliche) Lehrangebote an der TUM für MINT-Fächer.

Institutioneller und inhaltlicher Hintergrund: Das überfachliche Lehrangebot ist institutionell verankert an der TUM School of Social Sciences and Technology im Rahmen der Kontextlehre des WTG (Wissenschaft–Technik–Gesellschaft / früher Carl von Linde Akademie). Für Studierende aller Studiengänge bietet das WTG überfachliche forschungsbasierte Lehre, die von MINT-Studiengängen mit unterschiedlicher Gewichtung als Studienleistung anerkannt wird. In dem Themenbereich „Ethik & Soziales“ (einem von 6 Schwerpunkten des WTG) werden Seminare zur Angewandten Ethik sowohl zur Einführung wie auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten (u.a. Applied Sciences, AI, Umweltethik) angeboten. Vermittelt werden sowohl Grundkenntnisse der (philosophischen) Ethik (Basiswissen) als auch ein vertiefendes Praxiswissen mittels der Bearbeitung von unterschiedlichen Fallstudien. Im Mittelpunkt steht ein interdisziplinärer Wissenstransfer, der u.a. von interdisziplinär kooperierenden DozentInnen vermittelt wird. 
Mit dem Lehrangebot sind spezifische Herausforderungen z.B. hinsichtlich Didaktik und Studiengangintegration verbunden: u.a. Skalierbarkeit, (breite vs. spezifische) Zielgruppenorientierung, Interdisziplinarität, etc. Der Impulsvortrag berichtet von den in den letzten Jahrzehnten dazu gewonnenen Erfahrungen.

Markus Bohlmann (Universität Münster)
Ethische Basiskompetenzen und Empirie. Rückschlüsse aus den Forschungsprogrammen STS, SSI und NOS in den Naturwissenschaftsdidaktiken

Seit den 80er Jahren sind in der internationalen Didaktik der Naturwissenschaften, der Science Education, didaktische Programme etabliert, die ethische Lehr- und Lernziele aufweisen. Ethik muss also nicht erst von außen an die MINT-Fächer herangetragen werden. Es gibt genuin ethisch relevante und empirisch fundierte Projekte in den entsprechenden Didaktiken selbst. Im Vortrag stelle ich drei zentrale Forschungsprogramme vor: 

  1. STS (Science-Technology-Society): die Verortung von Naturwissenschaft und Technik in der gesellschaftlich-ethischen Verantwortung durch technische Krisen; 
  2. SSI (Socio-Scientific Issues): Fallbasierte Anwendungsgebiete, kulturbasierte und diskursive Fragen konkreter ethischer Probleme in der Lebenswelt der Lernenden;
  3. NOS (Nature of Science): die teils ethisch problematische Natur der Naturwissenschaft selbst.

Sabine Ammon und Juliane Rettschlag (TU Berlin)
Reflexion und Verantwortung—das Berliner Ethik Zertifikat 

In unserem Input stellen wir das didaktische Konzept des Berliner Ethik Zertifikat (BEC) vor. Das BEC ist ein inter- und transdisziplinäres Zertifizierungsprogramm an der TU Berlin, das Studierenden die Möglichkeit bietet, einen individuellen Schwerpunkt der Ethik, Technik- und Wissenschaftsreflexion zu setzen. Ein zentraler Baustein des Programms ist die Vermittlung theoretischer und methodischer Grundlagen an der Schnittstelle von angewandter Ethik, Wissenschaftsphilosophie und inter- und transdisziplinärer Forschung. Studierende werden begleitet, ethische Fragestellungen anhand eigener Fallstudien zu entwickeln, die sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Disziplinen relevant sind. Dabei wird besonders auf die Verbindung zu realen gesellschaftlichen Herausforderungen und dem Lebensweltbezug der Studierenden geachtet.
Ein zweites Merkmal des Programms ist die intensive inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit, bei der Studierende aus verschiedenen Fachrichtungen gemeinsam ethische Fragestellungen entwickeln und bearbeiten. Die Heterogenität der Teilnehmenden wird dabei als wichtige zu thematisierende Voraussetzung und Ressource für die kritische Auseinandersetzung mit ethischen Problemen verstanden. Studierende können zudem eines von sechs bereichsethischen Profil wählen (Bioethik; Technikethik & Technikfolgenabschätzung; Ethics of AI; Klimagerechtigkeit; Tierethik sowie Bio- und Medizinethik). Durch diese vielseitige Perspektivierung vermittelt das Zertifikat Schlüsselqualifikationen für die Gestaltung verantwortungsvoller Zukünfte. Das BEC wird an der TU Berlin (seit 2021), der Berlin University Alliance und im ENHANCE-Netzwerk angeboten.

Alexander Bagattini und Christoph Durt
Zur Vermittlung des Sinnvollen Umgangs mit Generativer KI: Chancen und Herausforderungen für MINT-Fächer

Im Mittelpunkt des Diskussionsformats steht die Frage, wie ethische Basiskompetenzen unter den Bedingungen einer durch generative KI geprägten Hochschulrealität sinnvoll vermittelt werden können. Eine Reihe von Studien zeigen, dass zwei Drittel der Studierenden Tools wie ChatGPT bereits täglich oder wöchentlich benutzen—die entscheidende Frage ist nicht ob, sondern wie KI genutzt wird, ist die. Gemeinsam mit den Teilnehmenden wird in drei thematischen Schwerpunkten diskutiert, wie ein reflektierter, ethisch sensibler Umgang mit generativer KI im Hochschulkontext konkret gefördert werden kann—insbesondere in MINT-Fächern, in denen Ethikunterricht oft als Randthema gilt. Im Zentrum steht für uns die Frage, wie Studierende in die Lage versetzt werden können, KI nicht nur funktional zu nutzen, sondern ihren Einsatz auch kritisch zu reflektieren. Dabei sollen gemeinsam Ansätze entwickelt und diskutiert werden, die den sinnvollen und verantwortungsvollen Umgang mit KI fördern, ohne auf Verbote oder reine Kontrollstrategien zu setzen.
Nach einem Überblick werden folgende Themen zunächst in Breakout-Sessions diskutiert und in einer Abschlussdiskussion werden die besonders wesentlichen Punkte festgehalten.

  1. KI in der ersten Recherchephase: KI kann gezielt Themenvorschläge machen und Literatur zusammenstellen. Aber was bedeutet das für die Fähigkeit zur eigenständigen Problemfindung, zur erkenntnisleitenden Fragestellung und für den kritischen Umgang mit Quellen?
  2. KI zur Klärung von Verständnisfragen und Zusammenfassungen: Erklärungen und Textzusammenfassungen durch KI wirken oft korrekt und präzise. Aber fördern sie das tiefere Verständnis, oder ersetzen sie nur die mühsame Auseinandersetzung mit Inhalten? Kann KI trotz fehlerhaften Outputs lernen fördern?
  3. KI und Hausarbeiten: Die Qualität KI-generierter Texte stellt klassische Prüfungsformen infrage. Doch anstatt auf Hausarbeiten zu verzichten, könnte der gezielte Einsatz von KI Teil des Leistungsnachweises werden–etwa durch transparente KI-Nutzung oder Fokus auf Reflexion.

Hintergrund des Workshops

Immer mehr MINT-Fächer integrieren Ethik-Module in der Ausbildung in Lehre und Forschung. Dies hat mehrere Gründe: Aufgrund des hohen disruptiven Potentials vieler neuer Technologien und des damit verbundenen großen Einflusses auf die Gesellschaft steht das Thema sozialer Verantwortung auch hier im Fokus. Viele Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen legen zunehmend Wert auf für die Behandlung ethischer Themen relevante Kompetenzen der Absolventen und Absolventinnen. Bei Forschungsanträgen sind Regeln guter Wissenschaftlicher Praxis und oft darüber hinaus auch so genannte ELSI-Fragen zu ethischen, sozialen, legalen Implikationen zu berücksichtigen. Viele MINT-Fächer sind interdisziplinär und haben Schnittstellen zu Philosophie und Sozialwissenschaften. Darüber hinaus haben diverse Erschütterungen und Krisen wie der Cambridge Analytica Skandal oder die Reproduktionskrise gezeigt, dass die kritische Reflexion des eigenen Tuns auch auf individueller Ebene eine Rolle spielt.
Diesem Bedarf kommen viele Technische Universitäten mit entsprechenden Programmen entgegen, bei denen die Anbietenden mit diversen Herausforderungen konfrontiert sind: Diese sind zum einen struktureller Natur, etwa, weil komplexe Inhalte mit geringen Ressourcen (Zeit, Personal, etc.) vermittelt werden sollen. Zum anderen sind sie auch konzeptioneller Natur, wenn sich z. B. die Frage nach der Auswahl bzw. Reduktion von Inhalten stellt und damit auch die Frage danach, was eigentlich wesentlich für die Behandlung ethischer Fragen ist: Geht es hier um die Vermittlung von Theorien, Grundbegriffen, fallbasierten Inhalten, Kompetenzen oder auch Haltungen und Tugenden oder noch anderen Inhalten? Diese organisatorisch-strategischen und didaktischen Fragen sind nicht neu, wie man an Diskussionen innerhalb der schulischen und akademischen Philosophiedidaktik zu ethischen Basiskompetenzen bzw. einer „ethical literacy“ oder an den in vielen Medizinstudiengängen etablierten Ethikmodulen sieht, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
Wir verfolgen mit diesem explorativen Workshop längerfristig das Ziel der Vernetzung aller Interessierten, die mit Fragen der Vermittlung ethischer Basiskompetenzen befasst sind. In einem ersten Schritt soll allerdings der Fokus zunächst auf der Ethikvermittlung in MINT- Fächern liegen, die an den Technischen Universitäten etabliert oder entwickelt und im Rahmen einer Hochschuldidaktik Angewandter Ethik diskutiert wird. Das Ziel ist es, interessierte Personen in diesem Feld zu identifizieren. In einem zweiten Schritt wird dann ein Austausch mit denen angestrebt, die sich in anderen Kontexten (schulische Fachdidaktik, Medizinethik etc.) mit vergleichbaren Fragestellungen beschäftigen. Themen für den Workshop könnten u.a. etwa sein: Welche Lehrformate sind bereits in welcher Form etabliert? Nach welchen Kriterien können wir die Dringlichkeit ethischer Themen für MINT- Fächer bestimmen? Was will man bewirken: Veränderung oder bloßes Interessieren (und evtl. Weiterbildung)? Gibt es Themen, die bisher vielleicht übersehen wurden? Welche Methoden haben sich bewährt?